Der Blick auf die Bevölkerung in Deutschland zeigt: Wir leben in einer Vielfaltsgesellschaft. Rund jede vierte Person hat einen Migrationshintergrund, jeder neunte Mensch hat eine Behinderung, mehr als 7 Prozent der Bevölkerung identifiziert sich als LGBT und auch die religiöse Vielfalt hat mit nun 140 verschiedenen Religionsgemeinschaften in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen.
Doch was bedeutet das Leben in einer Gesellschaft der Vielfalt eigentlich? Welche Chancen und welche Herausforderungen bringt sie mit sich?
Alles bunt und schön?
So einfach ist es leider nicht. Vielfältigkeit prägt zwar auf vielen Ebenen unser Alltags- und Arbeitsleben und ist eine enorme Bereicherung in unserer demokratischen und freiheitlichen Gesellschaft. Durch die vielen unterschiedlichen Perspektiven, Kenntnisse und Fähigkeiten eines jeden Individuums bieten sich täglich Chancen auf abwechslungsreichen, spannenden Austausch und neue Ideen.
Vielfältigkeit kann aber auch konfliktär sein. Sie kann Ängste, Vorurteile und Ablehnung auf der einen Seite und die Unsicherheit im Umgang mit ihr auf der anderen Seite hervorrufen.
Und so geraten die Potenziale und Chancen aus dem Blick. Stattdessen entstehen Barrieren und Stereotype in Köpfen. Wir schließen aus, statt ein. Wir bewerten die verschiedenen Diversity-Dimensionen, die unsere Persönlichkeit prägen, mitunter sogar unterschiedlich. Manchmal bewusst, manchmal unbewusst. Und während auf diese Weise bestimmte Personengruppen Vorteile genießen, werden andere durch (unbewusste) Vorurteile gesellschaftlich ausgeschlossen. Ihnen werden die gleichen Möglichkeiten erschwert oder sogar ganz verwehrt.
Demokratie, Vielfalt, Respekt
Die Anerkennung und Gleichbehandlung aller Menschen gehören allerdings zu den demokratischen Grundwerten, die auch in unserem Grundgesetz verankert sind. Somit ist der respektvolle und vorurteilsfreie Umgang miteinander nicht nur eine freiwillige Nettiquette des gesellschaftlichen Zusammenlebens, sondern eine Verpflichtung, auf die wir uns als Gesellschaft geeinigt haben.
Artikel 3 des Grundgesetzes
Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
Neben dem Grundgesetz verpflichten weitere Gesetze wie das Allgemeine Gleichstellungsgesetz zu Chancengleichheit und Gleichbehandlung. Hinzu kommen rechtliche Verankerungen von Diversity in internationalen Konventionen, nationalen Gesetzen und Gesetzen auf Landesebene, wie zum Beispiel das Bundesteilhabegesetz.
Vorurteile gefährden die Vielfaltsgesellschaft
Daraus folgt: Wenn Menschen nicht nach ihren persönlichen Fähigkeiten beurteilt werden, können somit nicht nur wertvolle Potenziale und Chancen übersehen werden. Unsere Vielfaltsgesellschaft an sich ist in Gefahr und mit ihr unser demokratisches Miteinander.
Wir müssen uns daher immer kritisch fragen: Können sich alle mit ihren Potentialen und Fähigkeiten einbringen? Funktioniert das vorurteilsfreie und wertschätzende Zusammenleben und -arbeiten wirklich? Und sind wir offen für das Anderssein? Oder anders formuliert: Wie steht es um die gleichberechtigte Teilhabe in unserer Vielfaltsgesellschaft?
Beispiele aus der Arbeitswelt zeigen: Obwohl gesetzlich die gleichen Chancen für alle gelten, kann es in der Realität Barrieren für diejenigen Personen geben, die in ihren Identitätsmerkmalen von der Norm abweichen. So ergeben sich ungleiche Beziehungen, durch die sich nicht alle im selben Maß an der Gesellschaft und im Arbeitsleben beteiligen können. Wenn die unterschiedlichen Machtverhältnisse aber nicht hinterfragt und unbewusst als „normal“ wahrgenommen werden, verstärken sich soziale Ungleichheiten.
Wie sich Stereotype in Köpfen konkret in der Arbeitswelt auswirken, zeigt der Blick auf drei Beispiele:
1
Faktor Herkunft
Nachkommen von Einwandererfamilien müssen bei gleicher Qualifikation bis zu vier Mal so viele Bewerbungen wie Menschen ohne Migrationshintergrund schreiben, bis sie zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden.
2
Gender Gap
Frauen in Deutschland sind in Führungspositionen trotz eines Gesetzes zur gleichberechtigte Teilhabe immer noch unterrepräsentiert. Ihr Anteil liegt aktuell bei 26 Prozent. Auch verdienen Frauen im Durchschnitt 21 Prozent weniger als Männer.
3
Inklusion und Alter
Sowohl ältere Menschen als auch Menschen mit Behinderung sind deutlich häufiger von Dauerarbeitslosigkeit betroffen als andere Arbeitnehmende. Noch zu wenige Organisationen erkennen ihre Potenziale und räumen ihnen Chancen ein.
Diversitätssensibles Miteinander ist die Lösung
Welche Möglichkeiten haben wir also, um die Situation zu ändern und die gesellschaftliche Teilhabe für alle zu ermöglichen? Hier kommt Diversity ins Spiel. Der englische Begriff für Vielfalt steht für einen positiven Gesellschaftsentwurf, der die Anerkennung und den Respekt gegenüber allen Lebensformen fordert. Dafür wird die gesamte gesellschaftliche Vielfalt mit allen Diversity-Dimensionen in den Blick genommen.
Ein offener und anerkennender Umgang mit unterschiedlichen Lebensformen will allerdings gelernt sein. Vor allem sollte er nicht auf die ethnische Herkunft reduziert sein. Das sogenannte Diversity-Management, wie es in der Arbeitswelt von vielen Organisationen umgesetzt wird, knüpft hier an. Mit verschiedenen Maßnahmen wird sich die eigene Belegschaft ganzheitlich angeschaut: Wen gibt es in unserer Organisation?
Erst wenn die Vielfaltsgesellschaft in der eigenen Organisation sichtbar wird, kann im nächsten Schritt Diskriminierung abgebaut und Chancengleichheit hergestellt werden. Darüber hinaus kann gefragt werden:
Wie funktioniert eigentlich unser Miteinander?
Wird allen mit Anerkennung und Respekt begegnet? Und fühlen sich alle wertgeschätzt, gesehen und richtig angesprochen?
Können sich alle gleichermaßen mit ihren Potenzialen und Fähigkeiten einbringen?
Wo findet strukturelle Benachteiligung oder sogar Ausgrenzung statt?
Hierbei lohnt es sich, auch sich selbst mal ganz persönlich zu fragen: Genieße ich Vorrechte, die andere Menschen nicht haben? Denn erfülle ich selbst die Norm, kann es schon ein Privileg sein, nicht ständig auf die eigene vermeintliche Andersartigkeit in Bezug auf Herkunft, Religion, Geschlecht, Sexualität, Behinderung oder Alter aufmerksam gemacht zu werden. Mit diesen Überlegungen kann Vielfalt sichtbar gemacht und Veränderungen im eigenen Wirkungskreis angestoßen werden.
Die Vielfaltsgesellschaft ist ein Gewinn für Alle
Dabei haben Organisationen erkannt: Eine vielfältige Belegschaft in Bezug auf alle Diversity-Dimensionen stärkt nicht nur nachweislich das Betriebklima, sondern steigert auch die Innovationskraft und damit den wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen und Institutionen.
Und da der Arbeitsplatz ein Spiegel der Gesellschaft ist, wirkt sich ein solches Diversity-Engagement gleich doppelt positiv aus:
Wird die Vielfalt der Belegschaft erkannt, wertgeschätzt und gefördert, bereichert Diversity nämlich nicht nur die Belegschaft, sondern die Vielfaltsgesellschaft als Ganzes.
Bingo. Ein Gewinn für Alle!
Wichtige Ansätze für mehr Diversity am Arbeitsplatz
Um Ungleichbehandlung zu begegnen und Vielfalt zu stärken, können der ganzheitliche Diversity-Ansatz und die intersektionale Perspektive helfen.
Nachfolgend erklären wir, was sich dahinter verbirgt.
Noch einmal eine kleine Auffrischung in Sachen Diversity und den Dimensionen gefällig? Dann einfach unter #Verstehen: Diversity alles rund um die einzelnen Diversity-Dimensionen Alter, Herkunft, Religion, Geschlecht und geschlechtliche Identität, sexuelle Orientierung und Identität sowie Behinderung nachlesen.
Wer wissen möchte, wie der Vielfaltsgedanke nach Deutschland kam, kann auf eine kurze Zeitreise gehen.
In unserem Dossier "Vielfalt erkennen" bieten wir einen thematischen Einstieg rund um den Umgang mit unbewussten Vorurteilen am Arbeitsplatz.
Schaut rein in die CHALLENGE.Talkbox! In unserem Videoformat treffen alle zwei Wochen Menschen aufeinander, die das Leben und Arbeiten in der Vielfaltsgesellschaft aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten. Ein spannender Austausch und jede Menge Inspiration für die CHALLENGE 2020-21 sind garantiert!